Mietwohnungen brauchen schnelles Internet und eine Möglichkeit zum Draußensitzen

Die Anforderungen an Wohnstandorte steigen. Das ist eine der Erkenntnisse, die Annette Spellerberg von der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern bereits aus dem ersten Teil ihrer Studie „#digitalesarbeiten_anderswohnen“ ziehen kann. Im zweiten Teil untersucht die Professorin nun näher, was Homeoffice für die Veränderungen in der Wohnungsnachfrage bedeutet. Als Mitglied von Haus & Grund können Sie aktiv an der Studie mitwirken.

Foto: maryviolet / Adobe Stock

Von Dr. Ilse Preiss

Erinnern Sie sich noch an die Zeit vor gut einem Jahr? Damals begann, was heute gerne das „neue Normal“ genannt wird: zuhause sein. Von heute auf morgen entfiel im März vergangenen Jahres das bis dahin übliche morgendliche Auseinanderstreben der Haushaltsmitglieder in verschiedene Welten. Stattdessen: Homeschooling, Homeoffice, Kurzarbeit für viele Beschäftigte, für manche sogar Jobverlust. Also Lernen, Arbeiten oder sonstige Beschäftigungen und Freizeit nur noch in den eigenen vier Wänden, aufgelockert durchs schnelle Besorgen der Lebensmittel und mehr oder weniger lange Spaziergänge. Aber keine Veranstaltungen mehr, Schluss mit Weggehen, Spaß-Shopping und Reisen.

Unvorbereitet und unfreiwillig hineingeworfen in diese Situation, betrachteten gerade im ersten Corona-Lockdown viele Menschen ihr Zuhause unter völlig neuen Aspekten. „Die Wohnungen wurden häufig verändert und anders genutzt“, resümiert Prof. Dr. Annette Spellerberg vom Fachbereich Raum- und Umweltplanung der Technischen Universität Kaiserslautern. Die renommierte Soziologin untersucht den Wandel von Wohnen und Arbeiten in der Corona-Zeit im Auftrag u.a. des Bauforums Rheinland-Pfalz, in dem auch der Haus & Grund Landesverband Mitglied ist.

Den ersten Teil der Studie bildete eine Onlinebefragung im November 2020 vor allem in Rheinland-Pfalz. Die Ergebnisse sind interessant für private Eigentümer und Vermieter, geben sie doch klare Hinweise darauf, wie der Wert und die Vermietbarkeit von Immobilien unter den veränderten Rahmenbedingungen erhalten werden können.

Jetzt sind die Vermieter gefragt –
Auch Sie können mitmachen!

Nach den Haushalten befragen Annette Spellerberg und ihr Team jetzt im zweiten Teil der Studie „#digitalesarbeiten_anderswohnen“ bis Ende April unter anderem Wohnungsanbieter nach ihren Erfahrungen mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Einige Beispiele für die Themen, um die es dabei geht: Ziehen Mieter aktuell häufiger um als früher? Welche Ausstattung wird besonders nachgefragt? Welche Aspekte werden beim Bauen oder Modernisieren wichtiger? Steigt beispielsweise die Bedeutung der Gästetoilette?

Als Haus & Grund Mitglied sind Sie herzlich eingeladen, aktiv an der
Studie teilzunehmen. Den Fragebogen können Sie online ausfüllen unter:  https://ww2.unipark.de/uc/corona-wohnen

Frau Dr. Spellerberg, welche Attribute machen eine Wohnung in Corona-Zeiten attraktiv?

Prof. Dr. Annette Spellerberg: Ganz oben auf der Wunschliste stehen bei den Befragten Freisitze – also Balkon, Terrasse oder am besten ein Garten – und der Zugang zu Grün. Die Möglichkeit zum Draußensitzen gewinnt immer höheren Stellenwert. Auch in den Innenstädten wird deshalb der Balkon an weiteren Häusern gefordert werden. Und gerade in den dicht besiedelten Bereichen müssen wir für vernünftige Freiflächen sorgen. Die Menschen brauchen Möglichkeiten, um rauszugehen und im Freien aktiv zu sein. Der Drang ins Grüne ist stärker denn je – schauen Sie sich nur das Interesse an den Schrebergärten an! Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. Mehr Mietergärten wären hier sicherlich auch eine spannende Lösung.

Angesichts von Homeoffice und Homeschooling hätte ich eher auf schnelles Internet als wichtigstes Merkmal getippt...


Unsere Gesprächspartnerin: Studienautorin Prof. Dr. Annette Spellerberg (Foto: privat).

Prof. Spellerberg: ...was nicht falsch ist, denn eine leistungsstarke Internetverbindung wird künftig ebenfalls ein zentrales Kriterium bei der Wahl einer Wohnung sein. Das Arbeiten von zuhause aus mag für manchen Arbeitnehmer und für einige Arbeitgeber überraschend gekommen und vielleicht auch etwas holprig angelaufen sein. Aber Fakt ist: Wir haben gesehen bzw. sehen, dass effektives und effizientes Arbeiten in dieser Form möglich ist. Viele der von uns Befragten möchten auch nach dem Ende der Corona-Beschränkungen weiter Homeoffice machen – oder zumindest teilweise. Unseren Erkenntnissen zufolge dürfte die Entwicklung auf Mischformen hinauslaufen. Flexibles Arbeiten wird gewünscht: Bestimmte Arbeiten lassen sich gut auslagern und werden künftig bevorzugt im Homeoffice erledigt, für andere Arbeiten kommen die Beschäftigten wieder in den Betrieb. Für Wohnungen und Häuser heißt das: In Lagen mit schlechter Internetanbindung verlieren sie an Attraktivität. Eigentümer in diesen Lagen sollten sich zusammentun, um Druck zu machen für einen besseren Internetanschluss.

Rückzugsorte wieder gefragt und flexible(re) Grundrisse

Durch Corona sind wir alle ja länger am Tag und in vielen Haushalten auch mit mehr Personen zuhause. Was bedeutet das im Hinblick auf die Anforderungen, die eine Wohnung erfüllen muss?

Prof. Spellerberg: Unsere Ergebnisse bestätigen, was lange Warteschlangen vor Baumärkten und komplett ausgebuchte Handwerker schon vermuten ließen: Es wurde und wird viel renoviert, modernisiert, umgebaut, verändert. Bei einem Großteil unserer Befragten hat bzw. hatte die Wohnung wohl einen offenen Grundriss – das lag ja zuletzt stark im Trend. Hier gibt es anscheinend einen Schritt zurück zu wieder mehr einzelnen Räumen. Denn nur so können alle Haushaltsmitglieder ungestört und konzentriert arbeiten oder sich für Ruhephasen zurückziehen. Aber auch ausreichender Lärmschutz, Schallschutz, Trittschutz waren und sind für die Menschen ein Thema – und flexible Raumteiler können es möglicherweise wieder werden.

Mieter sind unzufriedener als selbstnutzende Eigentümer

Wie in vielen anderen Bereichen, wirkt die Pandemie auch beim Wohnen wie ein Brennglas und rückt in den Fokus, wo – möglicherweise schon länger – Nachbesserungsbedarf besteht. Solche Defizite auszugleichen, trägt im Fall der Selbstnutzung der Immobilie zu ihrem Werterhalt bei und im Fall der Vermietung zur Absicherung der Rendite. Für Vermieter lohnt übrigens ein genauerer Blick auf das, was Annette Spellerbergs Studie hinsichtlich Mietwohnungen erbrachte: „Jede/r sechste Mieter/in ist seit der Corona-Krise unzufriedener mit der Größe, dem Grundriss, dem Lärmpegel in der Wohnung, vor allem mit der Internetverbindung. Jede/r fünfte Mieter/in möchte umziehen.“

Womit wir bei einem weiteren Thema sind, das die Studie untersuchte: die Zufriedenheit mit dem Wohnstandort. Hier drehte sich die Diskussion der letzten Jahre – auch in Rheinland-Pfalz – vor allem um die gegenläufige Entwicklung von stetig wachsenden so genannten Schwarmstädten und -regionen einerseits und anhaltendem Wegzug aus ländlichen Räumen andererseits. Angespannte Wohnungsmärkte mit hohen Mieten hier, kaum Nachfrage nach vergleichsweise billigem Wohnraum und sogar Leerstände dort – können die Veränderungen, die die Pandemie auslöste, zu einer anderen Bewertung von Wohnstandorten führen?

Viele wollen raus aus der Stadt – aber nicht hinaus aufs Land

Frau Dr. Spellerberg, was ist beim Vergleich zwischen aktuellem Wohn- und Wunschstandort in Ihrer Studie am auffälligsten?

Prof. Dr. Annette Spellerberg: Die größte Abweichung zwischen Wohn- und Wunschstandort ist bei den Befragten aus der Großstadt festzustellen: 20 Prozent von ihnen, also jede/r Fünfte, würden lieber in einem Vorort oder am Rand der Großstadt leben, weitere elf Prozent lieber in einer Klein- oder Mittelstadt. Das heißt unterm Strich: Fast jede/r Dritte möchte raus aus der Stadt. Mieter/innen sind dabei tendenziell unzufriedener mit ihrem Wohnort als Eigentümer/innen.

Können auch der ländliche Raum und die Dörfer dank Corona auf neues Leben hoffen?

Prof. Spellerberg: Die Frage muss ich leider mit einem klaren Nein beantworten: Ein Trend aufs Land ist nicht zu erkennen. Ziel der Wünsche sind vielmehr, wie gesagt, zum einen die Randlagen, das direkte Umland der großen Städte. Auch unter dem Eindruck von Corona geht es den meisten Menschen nicht darum, möglichst viel Platz und Abstand zu haben, sondern sie möchten städtische Einrichtungen erreichen können. Rund um die großen Zentren wird dafür in etwa eine halbe Stunde Anfahrtszeit in Kauf genommen. Zum anderen dürften unseren Erkenntnissen zufolge Mittel- und Kleinstädte oder Stadtdörfer mit guter Infrastruktur die Gewinner einer Bewegung raus aus der Stadt sein. Wobei spannend sein wird, zu beobachten, wie vor allem die Gemeinden im Umland der großen Städte auf die Zuzugswünsche reagieren werden. Wir beobachten dort einigen Unwillen, weiteres Bauland auszuweisen und Angst vor der Zerstörung des Ortscharakters.

Gerade mit Blick auf Zukunftsperspektiven für Dörfer haben Sie ja auch nach Erfahrungen mit so genannten Co-Working Spaces gefragt – von der Entwicklungsagentur und dem Innenministerium des Landes unter dem Stichwort „Dorf-Büro“ gefördert. Was ist das Ergebnis?

Prof. Spellerberg: Sofern die Befragten überhaupt Erfahrungen mit Co-Working Spaces hatten, brachten sie diese vor allem mit Großraumbüros in Verbindung. Es gibt ja bislang auch nur wenige solcher Dorf-Büros in Rheinland-Pfalz. Und das Konzept, das auf Startups zielt und auf projektförmiges Arbeiten, passt eigentlich eher in einen städtischen Kontext. Dennoch kann die Grundidee des Co-Workings vielleicht in anderer Ausprägung interessant sein. Beispielsweise könnten Vermieter leerstehende Gewerbeflächen im Erdgeschoss von Mehrfamilienhäusern zur Nutzung als „Projekträume“ anbieten. Das werden wir im zweiten Teil unserer Studie näher untersuchen.

Mehr Infos zur Studie

Die Corona-Pandemie hat unsere Arbeitswelt bereits deutlich verändert – welche Auswirkungen hat das auf das Wohnen und auf das künftige Bauen? Dieser Frage geht die Studie „#digitalesarbeiten_anderswohnen“ nach. Durchgeführt wird sie im Auftrag des Bauforums Rheinland-Pfalz und der Stiftung Bauen und Wohnen der LBS Landesbausparkasse Südwest vom Fachgebiet Stadtsoziologie der Technischen Universität Kaiserslautern unter der Leitung von Prof. Dr. Annette Spellerberg.

Die Soziologin hat einen Forschungsschwerpunkt „Wohnen und Nachbarschaft“; sie ist seit Ende 2020 Vizepräsidentin der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft, einem Kompetenzzentrum für nachhaltige Raumentwicklung. Den ersten Teil der Studie bildete eine Onlinebefragung im November 2020 in verschiedenen Regionen von Rheinland-Pfalz, bei der rund 1.000 Haushalte Auskunft über ihre Erfahrungen gaben. Über die Webseite des Bauforums unter www.bauforum.rlp.de kommen Interessierte zu den Ergebnissen der Befragung.

 

Zurück

Cookie-Hinweis

Diese Website nutzt Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzererfahrung zu ermöglichen. Wenn Sie nachfolgend zustimmen, werden alle Einstellungen aktiviert.

Cookie-Einstellungen