Neue Wohn-Wünsche nach Corona als Chance für den ländlichen Raum?
Ziehen jetzt wieder mehr Menschen raus aus den Schwarmstädten? Wird der Wohnflächenbedarf steigen? Wie werden sich unsere Vorstellungen vom Wohnen durch Corona verändern? Ralf Schönfeld, Verbandsdirektor von Haus & Grund Rheinland-Pfalz, wagt eine Prognose.
Foto: J. Braukmann Milseburg / wikicommons
Von Verbandsdirektor
RA Ralf Schönfeld
In der Geschichte war es schon immer so, dass in Krisenzeiten die Städter aufs Land flüchteten. Nun wird zwar nicht gleich jeder, der von einem Obstgarten träumt, aus der Stadt in ein Dorf in der Eifel, der Pfalz oder dem Westerwald ziehen. Allerdings wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein Trend verstärken, der schon vor einigen Jahren begonnen hat.
Denn nach einer Phase starken Zuzugs in die Schwarmstädte wie Mainz, Landau, Speyer, Trier, Koblenz u.a. weichen wieder mehr Menschen in das Umland aus. Auf die Reurbanisierung ist die Suburbanisierung gefolgt, getrieben vor allem von den steigenden Mieten und Kaufpreisen in den Zentren.
Während die Zahl der Quadratmeter, die jeder Rheinland-Pfälzer durchschnittlich zur Verfügung hat, seit Jahren steigt, wohnen Großstädter heute oft auf weniger Raum als noch vor ein paar Jahren. Während Städter oft in zu kleinen Wohnungen leben, gibt es auf dem Land keine Flächenprobleme.
Die Nachteile des Pendelns werden durch das Homeoffice ausgeglichen
Mancherorts haben es Eltern sogar bisher in Kauf genommen, im Wohnzimmer schlafen zu müssen, um gleichzeitig die Vorzüge der Stadt mit ihren kurzen Wegen, der guten Kinderbetreuung und einem großen Freizeitangebot in Anspruch nehmen zu können.
Nachdem viele durch die Corona-Krise zu Hause festsitzen, wird ein zusätzliches Zimmer – für Kinder, Arbeit oder Sonstiges – viel mehr herbeigesehnt als das Theater oder Kino um die Ecke, die ohnehin bis auf Weiteres nur sehr begrenzt nutzbar sind. Stattdessen wird ein eigener großer Garten vermisst, der für Eltern inzwischen die bessere Alternative erscheint als der Spielplatz in der Stadt.
Diese Erfahrungen werden bleiben, auch wenn es einen Corona-Impfstoff geben wird. Gerade Familien, die das Stadtleben für unverzichtbar hielten, werden sich in Zeiten des neu etablierten Homeoffice regelmäßig in Vororte oder ländliche Räume begeben. Der bisherige Nachteil des Pendelns wird dadurch ausgeglichen, dass man dank Homeoffice nicht mehr täglich in den Betrieb fahren muss.
Regional unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung
Was sagen die Demografen aktuell voraus? Gemäß einer Studie der Bertelsmann-Stiftung werden im Jahr 2030 in Rheinland-Pfalz rund 3,88 Millionen Einwohner leben. Das sind 2,8% weniger als noch 2012. In der regionalen Betrachtung dürften Kommunen wie Nackenheim (Kreis Mainz-Bingen) oder Schweich (Kreis Trier-Saarburg) zwischen 9% und 19% wachsen, während z.B. Vallendar (Kreis Mayen-Koblenz), Idar-Oberstein (Kreis Birkenfeld) oder Ramstein-Miesenbach (Kreis Kaiserslautern) in den kommenden 15 Jahren zwischen etwa 14% und 16% ihrer Bewohner verlieren könnten.
Die zunehmende Alterung in der rheinland-pfälzischen Bevölkerung bedeutet auch einen erhöhten Pflegebedarf in den Kommunen. 2030 werde die Hälfte der Bürger älter als 49,5 Jahre sein, während das so genannte Medianalter 2012 noch 45,7 Jahre betrug.
Strukturschwache Regionen mit deutlicheren Einwohnerverlusten
Für die Immobilieneigentümer ist neben der Einschätzung der aktuellen Marktlage auch ein Blick auf die zukünftig erwartete Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Auch in Rheinland-Pfalz sind spürbare regionale Veränderungen hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung festzustellen, wobei strukturschwache Regionen deutlichere Einwohnerverluste aufweisen als Städte in wirtschaftlich stärkeren Zentren.
Während z.B. Trier, Mainz, Ludwigshafen und Koblenz steigende Bevölkerungszahlen verbuchen konnten, verzeichneten die ländlichen Regionen – wie die Westpfalz, Hunsrück und Westerwald – Bevölkerungsverluste.
Steigende Attraktivität des ländlichen Raums
Wie wird sich nun die Corona-Krise auf diese Entwicklung auswirken? Darüber lässt sich Stand jetzt nur spekulieren. Es gibt aber gute Gründe, anzunehmen, dass ländliche Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte (siehe Grafik) profitieren können und das Wohnen dort wieder attraktiver wird.
Wo das eigene Zuhause zum Lebensmittelpunkt geworden ist, an dem sich dauerhaft mehrere Familienmitglieder tummeln, steigt der Bedarf nach individuellen Rückzugsmöglichkeiten. Vor allem im städtischen Raum musste man diesen Sommer erleben, wie verwundbar das Leben ist und wie schwierig es wird, wenn man weder einen Balkon noch einen großen Garten hat.
Nun machen es die Erfahrungen vieler Unternehmen mit dem Dauer-Homeoffice möglich, dass künftig wieder mehr Menschen auf dem Land oder zumindest in den Vororten der Städte wohnen können. Viele Arbeitnehmer werden auch genau das wollen – und zwar in erster Linie deshalb, weil sie sich dort größere Wohnungen oder Häuser leisten können.
Im familiären Alltag zeigt sich, dass es ein Vorteil ist, Türen hinter sich schließen zu können, im Arbeits- wie im Kinderzimmer, in der Küche wie im Wohnzimmer. Auch wenn die Corona-Krise irgendwann vorbei sein wird, bleibt der Wunsch nach einem Zuhause, in dem es Rückzugsmöglichkeiten gibt.
Um hier tatsächlich diese neuen Chancen für den ländlichen Raum nutzen zu können, muss aber noch einiges passieren. Es wird nicht ausreichen, dass (hoffentlich bald) im ganzen Land schnelles Internet zur Verfügung steht. Auch die Verkehrsinfrastruktur, d.h. nicht nur ÖPNV, sondern auch der Straßenausbau, ist von entscheidender Bedeutung.
Ebenso unverzichtbar ist es, dem Ärztesterben auf Land entgegenzuwirken und zukunftsfähige Formen der öffentlichen Daseinsfürsorge (inklusive der Gesundheitsvorsorge und Pflegebetreuung) zu entwickeln. Für die Regionen, die diese Aufgaben am besten bewältigen, werden sich durch die Corona-Krise neue Perspektiven bei der Bevölkerungsentwicklung ergeben.
Fazit: Nur gleichwertige Lebensverhältnisse bieten Chancen für neue Wohnformen
Die Erfahrungen mit der aktuellen Krisen-Situation sollten genutzt werden, um an der Verbesserung der Grundlagen für Wohnen in Rheinland-Pfalz zu arbeiten. Die Lebensverhältnisse in den verschiedenen Regionen im Land sind sehr unterschiedlich.
Um die Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte wieder zu attraktiven Wohnstadtorten zu entwickeln, werden eben nicht nur schnelles Internet und eine gute Verkehrsinfrastruktur gebraucht. Die Versorgung von kranken und pflegebedürftigen Menschen muss ebenso gewährleistet sein.
Nur wenn, egal wo man in Rheinland-Pfalz lebt, gleichwertige Lebensverhältnisse und gleiche Chancen in allen Regionen gefördert werden, können dauerhaft neue Wohnformen entstehen. Dazu bedarf es eines umfassenden Dialoges mit den Menschen in den Regionen – woran sich Haus & Grund gerne beteiligt.
Unser Autor: Ralf Schönfeld
ist Verbandsdirektor des
Landesverbands Haus
& Grund Rheinland-Pfalz.