Immobilienerbe: Bundesfinanzhof verbessert die Situation für den Fall der Selbstnutzung
Aktuelle BFH-Urteile mit einer großzügigen Auslegung bei verspätetem Ein- bzw. frühzeitigem Auszug.
Foto: Jeanette Dietl / AdobeStock
Von Verbandsdirektor RA Ralf Schönfeld
Neben den allgemeinen persönlichen Steuerfreibeträgen für die Erbschaftsteuer gibt es zusätzlich verschiedene sachliche Steuerbefreiungen, etwa für Hausrat. Von besonderer Bedeutung für Immobilieneigentümer ist die Regelung zur Steuerfreiheit des so genannten Familienheims. Dazu hat der Bundesfinanzhof nun einige für die Erben günstige Urteile veröffentlicht.
Steuerbefreiung für überlebenden Ehegatten
Bei der Erbschaft einer Immobilie ist der so genannte „Erwerb eines Familienheims von Todes wegen“ durch den überlebenden Ehegatten von der Steuer befreit. Ein begünstigtes Familienheim kann vorliegen, wenn der Erblasser bis zu seinem Tod auf einem bebauten Grundstück eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat. Dabei ist es unschädlich, wenn der Erblasser aus objektiv zwingenden Gründen wie zum Beispiel bei Pflegebedürftigkeit an einer Selbstnutzung gehindert war. Der überlebende Ehegatte muss in der erworbenen Wohnung unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aufnehmen.
Die Befreiung kann nachträglich entfallen
Die Steuerbefreiung steht unter einem Nachversteuerungsvorbehalt. Sie verlangt die Selbstnutzung der Wohnung als Eigentümer über einen Zeitraum von zehn Jahren. Gibt der Erwerber die Selbstnutzung innerhalb des Zehnjahreszeitraums durch Verkauf, Vermietung, längeren Leerstand oder unentgeltliche Überlassung ganz oder teilweise auf, entfällt die Befreiung entsprechend mit Wirkung für die Vergangenheit.
Steuervorteil auch für Kinder möglich
Auch der „Erwerb eines Familienheims von Todes wegen“ durch Kinder oder Kinder vorverstorbener Kinder kann von der Steuer befreit sein. Die Befreiung ist auf eine Wohnfläche der selbst genutzten Wohnung des Erblassers von höchstens 200 Quadratmeter begrenzt. Die begünstigten Erwerber müssen in der erworbenen Wohnung unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aufnehmen.
Versetzung kein ausreichender Grund
Es ist unschädlich, wenn ein Erwerber aus objektiv zwingenden Gründen an der Selbstnutzung gehindert ist. Objektiv zwingende Gründe liegen im Fall einer Pflegebedürftigkeit vor, die die Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr zulässt, oder solange das Kind wegen Minderjährigkeit rechtlich gehindert ist, einen Haushalt selbstständig zu führen, nicht dagegen z.B. bei einer beruflichen Versetzung.
Urteil 1:
Auszug aus gesundheitlichen Gründen:
„zwingend“ umfasst auch Unzumutbarkeit
Zieht der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend, so der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 01. Dezember 2021 (Az. II R 1/21, veröffentlicht am 04.08.2022).
Das Haus auf ärztlichen Rat verlassen
Im Streitfall hatte die Klägerin mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Sie berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemannes gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen.
Gegebenenfalls eine Begutachtung nötig
Der BFH hat dazu klargestellt, dass „zwingend“ nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims umfasst. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Erbe durch den Verbleib im Familienheim eine erhebliche Beeinträchtigung seines Gesundheitszustands zu gewärtigen habe. Gegebenenfalls muss mit Hilfe ärztlicher Begutachtung die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf geprüft werden.
Urteil 2:
Trotz Auszug wegen Pflegebedürftigkeit
bleibt es bei Erbschaftsteuerbefreiung
Mit der Frage der Unzumutbarkeit der Selbstnutzug in Fällen der Pflegebedürftigkeit hat sich der BFH mit einer am 7. Juli 2022 veröffentlichten Entscheidung (ebenfalls vom 1. Dezember 2021, Az. II R 18/20) beschäftigt. Danach verliert ein Erbe nicht die Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim, wenn ihm die eigene Nutzung des Familienheims aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist.
Auszug erfolgte nach sieben Jahren
In dem entschiedenen Fall hat die Klägerin das von ihrem Vater ererbte Einfamilienhaus zunächst selbst bewohnt, war aber bereits nach sieben Jahren ausgezogen. Sie machte gegenüber dem Finanzamt geltend, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum noch in dem Haus bewegen und deshalb ohne fremde Hilfe dort nicht mehr leben können.
BFH weniger streng als Finanzgericht
Nachdem das Finanzgericht dies nicht anerkannt hat, ist der BFH nicht so streng. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen, wie etwa die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung, genügten zwar nicht. Anders liege es, wenn der Erbe aus gesundheitlichen Gründen für eine Fortnutzung des Familienheims so erheblicher Unterstützung bedürfe, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung zu sprechen sei.
Urteil 3:
Befreiung bei schlüssiger Begründung
auch bei verzögertem Einzug möglich
In einem weiteren Verfahren (Urteil vom 16. März 2022, Az. II R 6/21; veröffentlicht am 28.07.2022) hat sich der BFH mit der Frage des verzögerten Einzugs in das Familienheim beschäftigt. Die Richter stellten dabei klar: Führt der Erwerber Räumungs- und Renovierungsarbeiten vor dem Bezug eines erworbenen Familienheims durch, muss er diese zeitlich so fördern, wie es seinen persönlichen Möglichkeiten entspricht.
Erheblicher Instandhaltungsrückstand
In dem entschiedenen Fall erfolgt der Einzug der erbenden Tochter erst nach 1,5 Jahren. Begründet wurde dies u.a. damit, dass zunächst der umfangreiche Hausstand und das Inventar ausgeräumt bzw. veräußert hätten werden müssen, um überhaupt mit den Handwerkerarbeiten beginnen zu können. Zudem habe das Objekt einen erheblichen Instandhaltungsrückstand aufgewiesen. Es sei aufgrund der Auslastung der Handwerksbetriebe trotz zahlreicher fernmündlicher Erinnerungen äußerst schwierig gewesen, überhaupt Besprechungstermine zu erhalten. Die Handwerker hätten es zudem nicht geschafft, nach dem Ortstermin zeitnah Kostenvoranschläge oder Angebote zu übersenden. Bei Auftragsvergabe und Auftragsabwicklung hätten sich diese Verzögerungen fortgesetzt.
Erwerber muss Absicht auch umsetzen
Laut BFH ist eine Wohnung zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht hat, die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, und diese Absicht auch tatsächlich umsetzt. Die Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung der Wohnung lässt sich als eine innere Tatsache nur anhand äußerer Umstände feststellen. Erforderlich ist deshalb, dass der Erwerber in die Wohnung einzieht und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzt. Der Begriff des Familienheims erfordert, dass der Erwerber dort den Mittelpunkt seines Lebensinteresses hat.
„Unverzüglich“ meist binnen sechs Monaten
Für das Merkmal des „unverzüglichen" Einzugs bedeutet dies, dass ein Erwerber zur Erlangung der Steuerbefreiung für ein Familienheim innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung des Hauses fassen und tatsächlich umsetzen muss. Angemessen ist regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Erwerber in der Regel prüfen, ob er einziehen will, entsprechende Renovierungsarbeiten vornehmen und den Umzug durchführen.
Zeitpunkt für Entschluss glaubhaft darlegen
Wird die Selbstnutzung der Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat.
Lange Verzögerung meist zu Lasten des Erwerbers
Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen (wie z.B. eine Renovierung der Wohnung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss.
Anforderungen steigen mit dem zeitlichen Abstand
Ein Indiz für die unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung ist die zeitnahe Räumung bzw. Entrümpelung der erworbenen Wohnung. Hinsichtlich der unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung sind die Anforderungen an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke umso höher, je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist.
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Dieser Artikel stammt aus dem digitalen Info-Service von Haus & Grund Rheinland-Pfalz (Ausgabe Juli/August 2022 vom 15. August 2022). Melden Sie sich jetzt an für diesen kostenlosen Service des Landesverbands: