Ohrfeige aus Karlsruhe: Haus & Grund fordert die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge

Die Ausbaubeitragspraxis in Rheinland-Pfalz verstößt laut Verfassungsgericht gegen das Grundgesetz.

Symbolbild Straßenausbaubeiträge: Baustelle mit UmleitungsschildFoto: Astrid Gast / AdobeStock

„Nach dem heutigen Paukenschlag aus Karlsruhe und den aktuell von der Landesregierung vorgestellten Zahlen zum Haushaltsentwurf 2022 sollte die Landesregierung endlich den Mut haben und die aus der Zeit gefallenen Straßenausbaubeiträge vollständig abschaffen“, fordert Ralf Schönfeld, Verbandsdirektor von Haus & Grund Rheinland-Pfalz.

Umstellung allenfalls ein Täuschungsversuch

Vor der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz hatte die SPD-geführte Landesregierung die Erhebung von einmaligen Straßenausbaubeiträgen „grundsätzlich“ abgeschafft und stattdessen landesweit einheitlich die Erhebung von wiederkehrenden Straßenausbaubeiträgen eingeführt. Damit wurden die bestehenden Ungerechtigkeiten jedoch keineswegs nachhaltig beseitigt. „Die Verlagerung auf wiederkehrende Beiträge mit allen damit zusammenhängenden rechtlichen Problemen war und ist allenfalls ein Täuschungsversuch“, so Schönfeld weiter.

In Koblenz gibt es nun 34 Satzungen statt nur einer

Mit den erforderlichen zahlreichen neuen Planstellen und dem bürokratischen Aufwand bei der Einführung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge zeigte die Politik ihr große Vorliebe zum „Bürokratisieren“ – statt die sprudelnden Steuereinnahmen effizient im Sinne der Bürgerinnen und Bürger einzusetzen. In Koblenz beispielsweise gibt es nun statt einer sage und schreibe 34 Ausbaubeitragssatzungen. Solche Maßnahmen fördern den Unmut der Menschen über die zunehmende Gängelung durch die Politik.

Landesregelung verstößt gegen das Grundgesetz

Passend dazu kommt heute die Nachricht aus Karlsruhe, dass das rheinland-pfälzische Landesrecht, wonach die zeitlich unbegrenzte Festsetzung von Erschließungsbeiträgen möglich ist, gegen das Grundgesetz verstößt. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einem Fall aus Rheinland-Pfalz hat grundlegende Bedeutung über die Landesgrenzen hinaus und zeigt zum wiederholten Mal, wie streitanfällig das System der wiederkehrenden Ausbaubeiträge ist.

Betroffene nicht dauerhaft im Unklaren lassen

Das derzeitige Kommunalabgabengesetz sieht zwar eine Höchstfrist für die Erhebung der Beiträge vor. Der FristBEGINN kann aber trotzdem sehr lange nach Beendigung der Baumaßnahme (= Beginn der „Vorteilslage“) liegen. Grund dafür kann sein, dass es für das Entstehen der Beitragspflicht noch an einer weiteren Voraussetzung wie z.B. der Widmung der Anlage für den öffentlichen Verkehr fehlte. Das Gebot der Belastungsklarheit und ‑vorhersehbarkeit verlangt laut der heutigen Entscheidung aus Karlsruhe aber, dass Betroffene nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Der Begriff der Vorteilslage muss an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten anknüpfen und rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vorlassen.

Komplizierter, bürokratischer und streitträchtiger

Die Einführung von wiederkehrenden Ausbaubeiträgen ist in den Kommunen mit großen Unsicherheiten verbunden und führt deshalb zu keiner Beseitigung der Grundproblematik. Den Einnahmen aus Straßenausbaubeiträgen stehen teilweise erhebliche Personal- und Sachkosten gegenüber, etwa für die Beauftragung von Ingenieurbüros oder im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten um die Erhebung wiederkehrender Beiträge. Das Gebiet, in dem die wiederkehrenden Beiträge erhoben werden, ist wesentlich größer als beim einmaligen Beitrag. Die Beiträge werden über Jahre gestreckt und sind deshalb zwar nicht so hoch. Allerdings ist diese Form der Beiträge komplizierter, bürokratischer und damit streitträchtiger. Wiederkehrende Beiträge kennen außerdem bisher nur die Länder Rheinland- Pfalz, Saarland, Hessen, Niedersachsen, Thüringen, Schleswig- Holstein sowie Sachsen- Anhalt.

Auch wohlhabende Kommunen müssen kassieren

Für Rheinland-Pfalz gilt nach dem kommunalen Haushaltsrecht außerdem weiterhin, dass die Gemeinden faktisch verpflichtet sind, Beiträge zu erheben. Ein echtes Wahlrecht wie in Hessen, ob und ggf. in welcher Höhe die Gemeinden von einer Beitragserhebungsverpflichtung Gebrauch machen, besteht nicht. Diese (haushaltsrechtliche) Ausgangssituation führt zu der absurden Situation, dass Kommunen mit guter Finanzlage weiterhin Straßenausbaubeiträge erheben (müssen), obwohl vor Ort die Bereitschaft besteht, darauf zu verzichten. Stattdessen werden Mehreinnahmen erzielt, die wiederum zu überflüssigen anderweitigen Ausgaben verleiten. Wenn etwa die Landeshauptstadt Mainz künftig im Wohlstand der Biontech-Milliarden schwimmt, hätte sie keine Möglichkeit, auf Ausbaubeiträge zu verzichten, obwohl dies eine sinnvolle Verwendung des neuen Gewerbesteuer-Reichtums wäre.

Ohne Ergänzung keine echte Entscheidungsfreiheit

Laut Verbandsdirektor Schönfeld „besteht ohne eine Ergänzung der Gemeindeordnung dahingehend, dass die Kommunen nicht durch die Aufsichtsbehörden und im Rahmen von Zuweisungsrichtlinien zur Beitragserhebung verpflichtet werden, keine echte kommunale Entscheidungsfreiheit bei Straßenausbaubeiträgen“.

Vollständige Abschaffung als einzig faire Lösung

„Es gibt aus unserer Sicht nur eine faire und unbürokratische Lösung: Die komplette Abschaffung der einmaligen und wiederkehrenden Ausbaubeiträge. Straßen sind ein öffentliches Gut und sollten daher aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Die Entwicklung der Steuereinnahmen des Landes belegt, dass die dazu erforderliche finanzielle Ausstattung der Kommunen problemlos möglich wäre, wenn die Landesregierung den politischen Willen dazu hätte“, so Schönfeld weiter. Am Ende bleibt die Frage, wieso das, was in vielen anderen Bundesländern geht, in Rheinland-Pfalz nicht möglich sein soll.

Heranziehung der Eigentümer nicht nachvollziehbar

Gemeindestraßen verkörpern die klassische öffentliche Daseinsvorsorge. Der gesellschaftliche Wandel ist unübersehbar. Es ist vielmehr nicht (länger) nachvollziehbar, warum für Maßnahmen der Erneuerung, der Erweiterung, des Umbaus und der Verbesserung der gemeindlichen Straßen die Eigentümer der anliegenden Grundstücke zu Beiträgen herangezogen werden sollen, obgleich die Benutzung dieser Straßen als Infrastruktur allen offensteht.

Hintergründe und Infos zur Entscheidung des Verfassungsgerichts:

Mehr Informationen zur Entscheidung seines Ersten Senats (Beschluss vom 3. November 2021, Aktenzeichen: 1 BvL 1/19) hat das Bundesverfassungsgericht online bereitgestellt:

 

Dieser Artikel stammt aus dem digitalen Info-Service von Haus & Grund Rheinland-Pfalz (Ausgabe November vom 24. November 2021). Melden Sie sich jetzt an für diesen kostenlosen Service des Landesverbands:

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